Die Geschichte von dem kleinen Muck

In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck hieβ. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte. Doch war er nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, denn sein Leib, so klein und zierlich er war, muβte einen Kopf tragen, viel gröβer und dicker als der Kopf anderer Leute. Еr wohnte ganz allein in einem groβen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte man in der Stadt nicht gewuβt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre. Doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straβe aus glaubte man aber, nur sein groβer Kopf allein laufe auf dem Dache umher.

Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck ausging. Wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus und warteten, bis er herauskam. Wenn dann die Türe aufging und zuerst der groβe Kopf mit dem noch gröβeren Turban herausguckte, wenn das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, daβ man nicht wuβte, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei.

Wir warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber grüβte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Straβe hinab. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer: «Kleiner Muck, kleiner Muck!». Auch hatten wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren, hier und da sangen, es hieβ:

«Kleiner Muck, kleiner Muck,

Wohnst in einem groβen Haus,

Gehst nur all vier Wochen aus,

Bist ein braver, kleiner Zwerg,

Hast ein Köpflein wie ein Berg,

Schau dich einmal um und guck,

Lauf und fang uns, kleiner Muck!»

So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner Schande muβ ich es gestehen, ich trieb’s am ärgsten, denn ich zupfte ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die groβen Pantoffeln, daβ er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an der Hand hielt, und an der Türe mit vielen Bücklingen sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute. Ich blieb daher lange in meinem Versteck, endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater.

«Du hast, wie ich höre, den guten Muck beschimpft?», sprach er in sehr ernstem Tone. «Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiβ nicht mehr auslachen, vor- und nachher aber bekommst du das Gewöhnliche».

Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab, und bearbeitete mich ärger als je zuvor.

Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und erzählte mir von dem kleinen Muck.

Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heiβt, war ein angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und lieβ ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, daβ er, der schon längst die Kinderschuhe zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei.

Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb, und den kleinen Muck arm und unwissend zurücklieβ. Die harten Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein groβer, starker Mann gewesen, daher paβten die Kleider nicht. Muck aber wuβte bald Rat. Еr schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daβ er auch in der Weite davon schneiden müsse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist. Der groβe Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die er seitdem trägt. Den langen Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus.

Fröhlich wanderte er den ganzen Tag, denn er war ja ausgezogen, um sein Glück zu suchen. Wenn er eine Scherbe auf der Erde im Sonnenschein glänzen sah, so steckte er sie gewiβ zu sich, im Glauben, daβ sie sich in den schönsten Diamanten verwandeln werde. Sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu, denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daβ er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist, unter Hunger und Kummer, und verzweifelte sein Glück zu finden. Die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager.

Am Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine groβe Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen schimmerten auf den Dächern, und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. Überrascht stand er stille und betrachtete Stadt und Gegend. «Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden», sprach er zu sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, «dort oder nirgends». Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen, denn seine kleinen Glieder versagten ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und er muβte sich oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen.

Endlich war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer. Dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein.

Er hatte schon einige Straβen durchwandert, aber nirgends öffnete sich ihm die Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: «Kleiner Muck, komm herein, iβ, trink, und laβ deine Füβlein ausruhen!».

Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig zu einem groβen, schönen Haus hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender Stimme:

«Herbei, herbei!

Gekocht ist der Brei,

Den Tisch lieβ ich decken,

Drum lasst es euch schmecken.

Ihr Nachbarn herbei,

Gekocht ist der Brei».

Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der Einladung folgen sollte. Еndlich aber faβte er sich ein Herz und ging ins Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er beschloβ, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser wüβten als er.

Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an und fragte nach seinem Begehr.

«Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen», antwortete der kleine Muck, «und weil ich so gar hungrig bin, bin ich auch gekommen».

Die Alte lachte und sprach:

«Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiβ, daβ ich für niemand koche, als für meine lieben Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehst».

Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann:

«Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und sollst gut gehalten sein».

Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier Katzen, diesen muβte der kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben. Wenn die Frau ausging, muβte er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie aβen, muβte er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts muβte er sie auf seidene Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen muβte, doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände gemacht, wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt.

Übrigens führte Muck ein so einsames Leben, wie in seines Vaters aus, denn auβer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut. Еr hatte immer zu essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, aber nach und nach wurden die Katzen unartig. Wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster, und wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, аls оb nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener.

Der kleine Muck war sehr traurig, daβ er also auch hier sein Glück nicht gefunden hatte, und beschloβ bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloβ er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war, und dessen Inneres er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, und er hätte oft für sein Leben gern gewuβt, was sie dort versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daβ dort die Schätze der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Tür fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie beikommen.

Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht, als er sah, daβ er sich in dem Gemach befand, das schon lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte überall umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war von Kristall, und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, oh Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, daβ es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücke.

Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein Schicksal entschieden, jetzt muβte er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da fielen ihm ein Paar mächtig groβe Pantoffeln ins Auge. Sie waren zwar nicht schön, aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen, auch zogen ihn jene wegen ihrer Gröβe an, denn hatte er diese am Fuβ, so muβten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, daβ er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog also schnell seine Töffelein aus, und fuhr in die groβen hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm auch hier allzu müβig in der Ecke zu stehen, er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so schnell ihn seine Füβe trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen. Jа, es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören zu rennen, denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureiβen. Endlich bemerkte er, daβ es mit den Pantoffeln eine eigene Bewandtnis haben müsse, denn diese schossen immer fort und führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen, aber es wollte nicht gelingen. Da rief er in der höchsten Not, wie man den Pferden zuruft, sich selbst zu: «Oh – oh, halt, oh!». Da hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder.Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem Weg das Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor Erschöpfung ein, denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm:

«Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht. Wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein kannst du Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal».

So träumte der kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloβ, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte einen Fuβ und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich glückte, besonders wenn man bedenkt, daβ ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog.

Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase, doch lieβ er sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in die nächste groβe Stadt, und – die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich schon auf einem groβen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine einsamere Straβe zu begeben, denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die Pantoffeln, daβ er beinahe umfiel, bald stieβ er mit seinem weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, daβ er mit Mühe den Schlägen entging.

Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, um sich ein Stück Geld zu verdienen. Er hatte zwar ein Stöcklein, das ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not für Geld sehen lassen können, aber dazu war er doch zu stolz. Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füβe ein. «Vielleicht», dachte er, «können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren», und er beschloβ, sich als Schnellläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, daβ der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, daβ er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten zu besorgen.

Der Aufseher maβ ihn mit seinen Augen von Kopf bis zu den Füβen und sprach:

«Wie, mit deinen Füβlein, die kaum so lang als eine Spanne sind, willst du königlicher Schnellläufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen».

Der kleine Muck versicherte ihm aber, daβ es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag, und daβ er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich vor. Еr befahl ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereitzuhalten, führte ihn in die Küche und sorgte dafür, daβ ihm gehörig Speis und Trank gereicht wurde. Еr selbst aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen Muck und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr, daher gefiel es ihm wohl, daβ der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem Spaβ behalten habe. Еr befahl ihm, auf einer groβen Wiese hinter dem Schloβ Anstalten zu treffen, daβ das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl ihm nochmals groβe Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein Schauspiel haben würden, diese erzählten es wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, was Füβe hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste aufgeschlagen waren, um den groβsprecherischen Zwerg laufen zu sehen.

Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig wurde. Eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füβlein in den weiten Pantoffeln – nein! Es war zu drollig anzusehen, als daβ man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck lieβ sich aber durch das Gelächter nicht irremachen. Er stellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin, und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte, nach Mucks eigenem Wunsche, den besten Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer über die Wiese hin.

Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, überfing ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen:

«Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!».

Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht. Еr warf sich vor dem König nieder und sprach:

«Groβmächtigster König, ich habe dir hier nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben, wolle nur gestatten, daβ man mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe!».

Der König aber antwortete ihm:

«Nein, du sollst mein Leibläufer werden, und immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen».

So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er dann mit der gröβten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte.

Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen, aber alle schlugen fehl an dem groβen Zutrauen, das der König in seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in so kurzer Zeit gebracht) setzte.

Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz. Nein, auf Mittel dachte er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm sein Stäblein, das er in seinem Glück auβer acht gelassen hatte, ein. Wenn er Schätze finde, dachte er, würden ihm die Herren schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daβ der Vater des jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind anrückte. Man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne daβ er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben sei.

Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schloβgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den Boden. Nun wuβte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Bäume und schlich sich wieder in das Schloβ. Dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab.

Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte. Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groβ und schwer, und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuβ tief gegraben hatte. Endlich stieβ er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen groβen eisernen Deckel zutage gefördert. Er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und fand richtig einen groβen Topf, mit Goldstücken angefüllt. Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte das Übrige wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füβen gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern seines Sofas.

Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon daran konnte man erkennen, daβ der gute Muck keine gar sorgfältige Erziehung genossen haben muβte, sonst hätte er sich wohl nicht einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daβ er damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll Gold aus dem Staub gemacht hätte!

Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Der Küchenmeister Ahuli sagte: «Er ist ein Falschmünzer». Der Sklavenaufseher Achmet sagte: «Er hat’s dem König abgeschwatzt». Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der selbst hier und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: «Er hat’s gestohlen». Um nun ihrer Sache gewiβ zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor die Augen des Königs. Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, daβ ihn der König fragte, was ihm fehle .

«Ah», antwortete er, «ich bin traurig, daβ ich die Gnade meines Herrn verloren habe».

«Was fabelst du, Freund Korchuz?», entgegnete ihm der König. «Seit wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten lassen?».

Der Obermundschenk antwortete ihm, daβ er ja den geheimen Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe.

Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, lieβ sich die Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen brachten ihm leicht den Verdacht bei, daβ Muck auf irgendeine Art das Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck achtzugeben, um ihn womцglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloβgarten schlich, um dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein legen wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, empfing seinen armen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor die Füβe des Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, daβ er mit seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe.

Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei, und woher er das Gold, das er vergraben, bekommen habe.

Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daβ er diesen Topf im Garten entdeckt habe, daβ er ihn habe nicht ein-, sondern ausgraben wollen.

Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König aber, aufs höchste erzörnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus:

«Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und schändlich belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt».

Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiβ, so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem königlichen Schatz, und er könne einen Eid darauf ablegen, daβ dies das Gestohlene sei.

Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen, und in den Turm zu führen. Dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang der Sache, zog dieser ab, und zählte zu Haus die blinkenden Goldstücke, aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daβ unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte:

«Der Feind hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze. Wer es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich meinem Sohne ausliefert!

König Sadi».

Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an. Еr wuβte, daβ auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen, denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben, als mit ihm zu sterben, lieβ den König um geheimes Gehör bitten, und entdeckte ihm das Geheimnis. Der König maβ von Anfang an seinem Geständnis keinen Glauben bei, aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestände, daβ er nicht getötet werden solle. Der König gab ihm sein Wort darauf und lieβ, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben, und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden, denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte der König, daβ ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst erdroβle. Zum kleinen Muck aber sprach er:

«Ich habe dir zwar dein Leben versprochen, aber es scheint mir, als ob du nicht allein dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest, darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit deinem Schnelllaufen hat».

Der kleine Muck, den die einzige Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daβ seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher. Оft wollte er anhalten, aber er wuβte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, lieβ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel.

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