Auf der Straße musste er den Pelz öffnen. Es war plötzlich Tauwetter. In der Luft wehte ein Hauch des Frühlings. Von Fridolins Wohnung in der Josefstadt war es kaum eine Viertelstunde in die Schreyvogelgasse. Da war das Allgemeine Krankenhaus. So stieg Fridolin bald die Treppe des alten Hauses in das zweite Stockwerk. Er zog an der Glocke. Doch merkte er: Die Tür war nur leicht zugemacht. Er ging durch den Vorraum in das Wohnzimmer. Er sah sofort, dass er zu spät kam. Die grün verhängte Petroleumlampe warf einen matten Schein über die Bettdecke. Darunter lag regungslos ein schmaler Körper. Das Antlitz des Toten war überschattet. Doch Fridolin kannte es so gut. Er konnte es ganz deutlich sehen: Hager, runzlig, mit dem weißen, kurzen Vollbart, den häßlichen weißbehaarten Ohren.
Marianne war die Tochter des Hofrats. Sie saß am Fußende des Bettes wie in tiefster Ermüdung. Es roch nach alten Möbeln, Medikamenten, Petroleum, Küche. Auch roch es ein wenig nach Kölnisch Wasser und Rosenseife. Irgendwie spürte Fridolin auch den süßlichen Geruch dieses blassen Mädchens. Es war noch jung. Seit Monaten, seit Jahren verblühte es langsam in schwerer Hausarbeit, anstrengender Krankenpflege und Nachtwachen.
Als der Arzt kam, hat sie den Blick zu ihm gewandt. Doch sah er sie kaum, ob ihre Wangen sich röteten wie sonst, wenn er erschien[16]. Sie wollte aufstehen. Aber Fridolins Handbewegung verwehrte es ihr. Sie nickte ihm mit großen, aber trüben Augen einen Gruß zu. Er trat an das Kopfende des Bettes, berührte mechanisch die Stirn des Toten. Dann senkte er mit leichtem Bedauern die Schultern. Er steckte die Hände in die Taschen seines Pelzrockes. Dann warf er den Blick auf Marianne. Ihr Haar war reich und blond, aber trocken. Der Hals war wohlgeformt und schlank, doch nicht ganz faltenlos. Und die Lippen waren schmal.
«Nun ja», sagte er flüsternd, «mein liebes Fräulein. Es ist nicht so unerwartet für Sie.» Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie teilnahmsvoll. Dann fragte er nach dem Verlauf des letzten tödlichen Anfalls. Sie berichtete sachlich und kurz. Dann sprach sie von den letzten guten Tagen. in denen Fridolin hat den Kranken in diesen Tagen nicht mehr gesehen. Fridolin setzte sich Marianne gegenüber. Er gab ihr tröstend zu bedenken: Ihr Vater hat in den letzten Stunden kaum gelitten. Dann erkundigte er sich.