Элеонора Шах Nico Unglaubliche Abenteuer des Kleinen Drachen


Autorin: Eleonora Shah

Redakteurin: Anna Zemljanski

Illustrator:


Viktoria Tseluyko


Nico


Unglaubliche Abenteuer des kleinen Drachen


Eines Tages vor langer langer Zeit, gab es inmitten der Vielfalt von Sternen und Planeten des Universums, eine Passage zu unzählbar vielen Welten, auf denen eine Fülle höherer Wesen lebte.

Im Laufe der Zeit kamen aus diesen Welten verschiedenste Vertreter auf unseren Planeten. Die Erde zog sie schon immer an, wegen ihre blauen Farbe, welche die unendlichen Weiten der Ozeane dem Planeten gegeben hatten. Die verschiedenen Tiere, und Pflanzen, welche die Erde belebten, löste bei den außerirdischen Besuchern Bewunderung und Erstaunen aus. Sie nannten unseren Planeten Kitur, was in ihrer Sprache „ein blauer Planet“ bedeutete.


Aber mit der Zeit lösten sich die Welten der höheren Wesen in einzelne Teile auf, die sich so sehr von einander entfernten, dass den Bewohnern nicht mehr nach der Schönheit unseres erstaunenswerten Planeten war. Doch, einige Angehörige jener Welten liebten den Planeten Kitur so sehr, dass sie nicht auf einen Besuch verzichten konnten.

Dies waren die Drachen. Während die Welten der Höheren Wesen zerfielen, hatten sie für sich einen kleinen, der Erde nahe liegenden Planeten namens Atalanta auserkoren, der aus in der Luft segelnden Inseln bestand…

Lera, diesen Text müssen wir besprechen, ist in deutsch unverständlich…


Das große Leimader



…die große Stadt Leimader segelte zwischen schneeweißen Wolken. Sie befand sich auf der größten der Inseln, auf Atalanta, und war märchenhaft schön und reich. In ihrer Mitte stand ein blendend schönes Schloss mit zahlreichen schneeweißen Türmen, die mit übergoldetem Dachstein bedeckt waren. Die Fenster des Schlosses waren aus buntem Glas und bei hellem Sonnenschein funkelten sie in strahlendem Farbenspiel.

Von der Ferne sah das so aus: aus der Mitte einer riesigen in der Luft schwebenden Insel ragte das Schloss des Königs. Unterhalb des Schlosses die Stadt, danach die Felder und Gärten und auf den Randgebieten der gesamten Insel befanden sich Häuser.

Um die Insel herum, gab es einen kristallklaren See der mit Lotos bedeckt war. Über ihm segelten viele Inselchen mit reicher Vegetation und von diesen flossen Wasserfälle direkt in den See. Auf jedem dieser Inselchen gab es ein oder sogar mehrere Häuser.

Die Bewohner von Atalanta waren überglücklich: sie waren in der Lage, sich selbst von jeder Krankheit zu heilen, einige von ihnen konnten die Gedanken der Menschen lesen und in die Zukunft sehen und zu alledem, lebten sie bis zu tausend Jahre lang.

Der fruchtbare Boden, der in der Luft schwebenden Gärten, gab drei Mal im Jahr Früchte, süß wie Honig: herrliche Äpfel, Birnen, Pfirsiche. Das Ernteaufkommen ließ das ganze Jahr über nicht nach, denn auf den Feldern und Gärten von Atalanta blühte es auf einem Platz, während auf dem anderen Früchte erschienen und auf dem dritten bereits geerntet wurde.

Zwischen Nussbäumen befanden sich Lauben und Brunnen. Die Früchte dieser Bäume gaben den Kriegern viel Kraft und aus ihren harten Schalen machten Handwerker schönen Schmuck und Spielzeug für die Kleinen. Überall ertönte Musik, Lachen und Gesang. Allerlei Blumen füllten die Luft mit angenehmen Aromen. An Feiertagen streute man die Straßen mit Blüten. Auf den Feldern und in den Gärten wuchsen Kräuter, aus denen verschiedene Arzneien und Gewürze zubereitet wurden. Die Erde der Inseln war voll mit Edelsteinen. Aber keiner der Bewohner machte darum viel Aufhebens.

Natürlich viel in der Welt der Drachen, genauso wie in jeder anderen Welt, auch manchmal etwas vor, aber unangenehme Zwischenfälle waren eher eine Ausnahme im ruhigen Leben des Drachenvolkes.

Neben der schönen Natur besaß die Stadt Leimader außergewöhnlich fortgeschrittene Technologien, die auf dem Planeten Kitur noch nicht bekannt waren.

Diese ganze Welt regierte König Nait. Er war seit langer Zeit seinem Volk ein gutes Oberhaupt. Sein ganzes, langes Leben widmete Nait den zahlreichen Kindern seines Volkes. Er verdiente die Liebe und den Respekt der Untertanen durch gute Taten und sie wünschten ihm von Herzen Glück, Gesundheit und Langlebigkeit.

Nait war ziemlich groß – etwa drei Meter – und hatte einen massiven Körperbau.

Er war von schneeweiß-himmelblau-grauer Farbe und ganz überzogen mit goldenen Mustern.

Während seines langen Lebens, war auf seinem Körper ein silbriges Fell gewachsen und alle Kinder strebten danach mit ihm zu kuscheln – der Drache ist so weich geworden! Nie wies König Nait eines der zahlreichen Kinder zurück.

Über seinen Augen wuchsen, wie Büschel, zwei üppige Augenbrauen, er hatte einen silbrigen Schnurrbart und ein Bart mit gekonnt geflochtenen langen Zöpfen umrahmte seine Schnauze.

Die Stirn des Königs schmückte ein dunkelblauer Edelstein. Ähnliche Steine, in verschiedenen Farben, trugen alle Drachen die zum Hochadel von Leimader gehörten. Auch die königlichen Wachen hatten solche Edelsteine. Diese ermöglichten es ihnen sich, falls es in der Welt der Menschen auf dem blauen Planeten nötig wurde, unsichtbar zu machen. Außerdem gab ein solcher Stein seinem Besitzer zusätzliche Kraft. Jeder Stein, der die Stirn eines Drachen schmückte, war energetisch mit dem größten Schatz von Atalanta – dem Stein des Lichtes, einem heiligen Kristall -verbunden und dieser ermöglichte es den Drachen, den Planeten Kitur zu besuchen.


Der König beschließt zu heiraten



Als das Alter des Königs die Sechshunderterschwelle überschritten hatte, verkündete er endlich heiraten zu wollen.

Luna war eine junge, wunderschöne, vierhundert Jahre alte Drachin. Dies war das passendste Alter für eine Ehe und Luna besaß Intelligenz und Schönheit in vollstem Ausmaß.

Sie war hauptsächlich hellgrün, mit etwas gelb auf dem Bauch. Sie hatte einen schlanken Körper mit langem Hals und Schwanz und ihre Brust sah so aus, als ob ein Muster aus Mosaik darauf gelegt worden war. Ihre wunderschönen Augen, die die Farbe von Malachit hatten und in geheimnisvollem Glanz leuchteten, verzauberten jeden der hinein blickte. Ihre Augenbrauen und Hörner bildeten zwei ziemlich lange, dünne Fühler, die an den Spitzen gelbe Federquasten hatten, genauso wie ihr Schwanz. Ihre anmutigen Flügel bedeckte kleines Gefieder.

Es gab eine prächtige Hochzeitsfeier. Es schien fast so, als ob das königliche Schloss durch das Lächeln der zahlreichen Gäste noch heller leuchtete. König Nait und seiner Ehefrau wurden viele teure und schöne Geschenke überreicht und der Hofsterndeuter schenkte ihnen eine Karte der Sterne – ein großer Spiegel in einem filigranen Rahmen, in dem alle Sterne sowie das neue Sternbild der zwei Drachen – einer etwas größer als der andere, zu sehen war. Mehrere Tage lang verstummte die Sphärenmusik nicht und nachts erreichte sie sogar die Erde. Es war möglich diese zu hören, wenn man etwas weiter hinaus in die Felder ging, wo der Lärm der Stadt kaum hörbar war und die himmlische Musik nicht dämpfte.

Kurz vor der Hochzeit fragte König Nait seinen alten Freund den Hofmagier, der Tendar hieß, vorauszusehen was ihn, den König in der Zukunft erwarte.

…Im Turm, in dem er sich mit Wissenschaft und Wahrsagungen beschäftigte, führte Tendar seinen Finger über eine Schale und betrachtete darin schwimmende Blumen, Blütenblätter, Rinde und Zweige.

„Mein Herr“ sagte er, in die Schale mit Wasser starrend, „Die Vorhersage lautet, dass Ihr sehr glücklich mit Eurer Ehefrau sein werdet.“

Auf dem Gesicht des Königs lag ein zufriedenes Lächeln. Tendar war seit Jugendtagen ein guter Freund König Naits, sie waren fast gleich alt. Während der zukünftige König in der Akademie für Adlige studierte, schlug Tendar eine andere Richtung ein und folgte den Fußspuren seines Großvaters, von dem er die Gabe der Vorhersage geerbt hatte. Während der ganzen langen Zeit die Tendar Magie studierte und alles was damit verbunden war, trug er all seine Kenntnisse in ein riesiges Buch ein, das nun auf einem speziellen Podest lag.

Viele adlige Frauen hatten sich dem jungen Propheten gegenüber aufmerksam gezeigt. Er aber stürzte sich in die Ausbildung seiner Fähigkeiten und blieb so ledig. Sogar jetzt, nach Jahrhunderten, konnte man seine frühere, männliche Schönheit sehen. Er war nicht besonders groß, etwas mager, sogar drahtig, mit einem purpurfarbenem Körper, der samtig zu sein schien. Er hatte eine hellgrüne, flauschige Mähne von der Stirn bis zum Schwanz, welche in einer flauschigen Quaste endete.

Tendars ganzer Körper war mit dunkelblauen Mustern überzogen. Seine Hörner hatten die gleiche blaue Farbe und er hatte extralange Ohren. Seine Schnauze war etwas langgezogen, so wie sein restlicher Körper. Wegen der dunklen Farbe seiner Augen, war es schwierig zu sehen in welche Richtung er blickte.

Auf seiner Stirn schillerte ein hellgrüner Stein. Die Flügel des Drachens waren ziemlich dünn und ein bisschen durchsichtig, sie waren außen rot und innen blau.

Seinen kurzen Bart streichelnd, sprach der Wahrsager:

„Hier, seht mein Herr!“

Tendar zeigte mit seinem Finger auf drei Blütenblätter, die zwei flauschige Blumen formten.

„Das sind Eure Kinder. Insgesamt drei und alle sind Jungen.“

„Bist du sicher?!“, rief Nait erstaunt aus.

„Ja, Eure Majestät. Seht Ihr wie sie ausgebreitet sind?“, der Wahrsager deutete mit der langen Kralle eines Fingers. „Der untere Teil der Blütenblätter liegt zur Außenseite hin, dies spricht eindeutig für das männliche Geschlecht.“

Der König starrte in die Schale und betrachtete skeptisch in welche Richtung die Gerberablüten zeigten.

„Das wäre gut.“, sagte er nachdenklich und sein Blick ruhte einige Momente auf dem Wahrsager. „Sag mir, mein lieber Freund Tendar, werden meine Söhne gesund und glücklich sein?“

Der Wahrsager verrührte mit der gleichen langen Kralle das Wasser in der Schale, schüttelte die Tropfen vom nassen Finger und wartete bis die Wasseroberfläche sich legte und alle schwimmende Gegenstände ihre Plätze eingenommen hatten, um eine neue Vorhersage zu formen. Der König blickte auf die Wasseroberfläche und beobachtete, wie sich seine „Kinder“ in alle Richtungen zerstreuten.

Aber nun erstarrte die Wasserlandschaft. Tendar betrachtete aufmerksam die Lage der Blütenblätter und begann erneut, diesmal mit langgedehnten Worten zu sprechen:

„Eure Kinder Majestät, werden zweifellos viele Jahre gesund und munter sein. Aber…“

Es folgte eine Pause.

„Aber wenn sie erwachsen und reif sind, wird zwischen ihnen sehr wahrscheinlich ein Kampf um den Thron ausbrechen.“

Der Wahrsager wandte den Blick auf seinen Freund, abwartend wie dieser wohl auf das Gesagte reagiert. König Nait runzelte die Stirn.

„Das ist zu erwarten wenn man bedenkt, dass es drei Söhne werden, also drei Krieger und nicht Töchter – sanft und rührend wie Blumen… Mein lieber Freund, kannst du mir sagen was der Anstoß zum Kampf zwischen den Brüdern sein wird, was sagt dein Wasser?“, Nait deutete mit dem Kinn in Richtung Schale. Tendar betrachtete wieder aufmerksam die schwimmenden Gegenstände und setzte fort:

„Etwas wird auf Kitur passieren, was genau kann ich nicht sagen… aber das jahrhundertealte Bündnis mit den Bewohner dieses Planeten wird zerstört. Dies könnte der Anstoß zum Kampf um den Thron sein.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“


Tendar blickte in die Schale, danach auf König Nait:

„Mein König, Ihr werdet mehrere Jahrhunderte unser Volk regieren und Frieden und Ruhe aufrechterhalten. Aber wenn die Zeit gekommen ist, dass Eure Söhne erwachsen und stark genug sind, um Verantwortung nicht nur für unsere Welt, sondern auch für die der Menschen zu übernehmen, solltet Ihr einem Sohn den Thron übergeben und die zwei anderen nach Kitur schicken. Das Aufteilen des Himmels, der Meere und Kontinente von Kitur zwischen den Söhnen ermöglicht es Euch, sie vom Kampf unter sich abzuhalten und dadurch eine Tragödie zu vermeiden.

„Bist du sicher, dass man dadurch einen Krieg unter ihnen verhindern kann?“

„Ja, Eure Majestät. Manchmal kann man die Zukunft ändern.“

„Und wie vermeiden wir die Auflösung des Bündnisses mit den Menschen?“

König Nait schaute sorgenvoll auf seinen alten Freund.

„Die Auflösung des Bündnisses ist nicht zu vermeiden, aber im Anschluss daran wird ein Auserwählter auftreten“, sagte Tendar, während er sich langsam immer tiefer zum Wasser beugte. „Dieser Auserwählte wird in der Lage sein, das Unglück zu vermeiden. Er kann das Bündnis zwischen Atalanta und Kitur wiederherstellen.“

„Ein Auserwählter? Wer ist es?“, fragte Nait aufgeregt.

„Mein König, ich kann Euch nicht sagen, ob es ein Mensch oder ein Drache sein wird, was ich jedoch sehen kann ist, dass er das Herz eines Drachen hat…”


Erben


Nach kurzer Zeit brachte die junge Königin Drillinge zur Welt. Am Nachthimmel erschienen drei neue Sternbilder. Drei schöne, kräftige Drachen – drei Jungen. Einer ein Sinnbild des Herzen, der Andere der Seele und der Dritte des Verstands. Der Erste wurde Mian genannt, der Zweite Lutan und der Dritte Largo. Der König und seine Frau beschlossen, die Reihenfolge der Geburten geheim zu halten, so sollten Streitigkeiten unter den Söhnen darüber wer – um eine Minute – älter sei, vermieden werden. Das gesamte Königreich feierte das große Ereignis, denn nicht jedes Jahrhundert wurden Drillinge geboren und noch dazu Jungen – Thronfolger. Manche jedoch sahen es als ein schlechtes Omen: ein Krieg zwischen den Brüdern um den Thron sei unvermeidlich, dachten sie. Jedoch, solange die Babys wuchsen und stärker wurden war alles ruhig.

Der König umgab seine Söhne mit den besten Lehrern in Astronomie, Geographie, Zauberei, Feuerspeien und weiteren Wissenschaften. Feuerspeien stellte die größte Herausforderung dar, denn junge Drachen neigen dazu, Dinge zu versengen. Einmal verbrannte Largo seinem Bruder Lutan leicht die Quaste seiner Schwanzspitze, aber zum Glück ging alles gut aus.

Nait zeigte seinen Sprösslingen den Besitz und sagte dazu:

„Eines Tages wird das alles euch gehören…“

Überhaupt verwöhnte er sie wie jeder, der erst im Alter Vater geworden ist, während Luna bei aller Liebe und Fürsorge den schelmischen Jungen nichts durchgehen lies. Der Vater machte sie zu starken Kriegern und die Mutter lehrte sie gut erzogen, selbstbeherrscht und galant zu Damen jeden Alters und Standes zu sein und sie erzog sie in der Liebe zum eigenen Volk.

Als die Jungen noch klein waren, erzählte der Vater ihnen viele Legenden über die Heldentaten der Krieger ihres Volkes, die den Frieden zwischen dem Königreich der Drachen und dem Planeten Kitur mit dessen Bewohnern bewacht hatten. Als die Kinder jedoch zu Jugendlichen wurden und ihre Persönlichkeiten, ebenso wie die charakteristischen Muster auf ihren Rücken, immer mehr zu Tage traten, begann der Vater langsam, seine Söhne mit der Tätigkeit der Drachen vertraut zu machen. Nait bemühte sich sehr die Söhne freundlich und einmütig großzuziehen, er wollte, dass nach seinem Tod starke Bindungen zwischen ihnen blieben.

Zu ihre Volljährigkeit bekamen die Brüder endgültig ihre typischen Farben und damit auch ihre Charakterzüge.

Mian hatte ein gutes Herz und war ein sehr ruhiger Junge. Er hatte einen starken Geist, verschonte dabei alle und alles. Vom Charakter her war er ganz der Vater – König Nait. Mians Hauptfarbe war beige, seine hellblauen Augen wie bodenlose Seen. Die Schuppen, mit denen sein ganzer Körper bedeckt war, schienen das Sonnenlicht widerzuspiegeln. Auf seiner Nase hatte Mian zwei kleine Hörner und auf der Stirn einen hellblauen, mit goldener Kante umrahmten Stein. Vom Stein abwärts, den ganzen Rücken hinab, war er in verschiedensten Blauschattierungen gemustert: von ganz dunkel bis ganz hell. Entlang seines ganzen Körpers wuchs ein seidiger Grat, der den Flossen von Kampffischen auf dem Planeten Kitur ähnelte. Unter seinen Augen und auf der Spitze seines Schwanzes hatte er ebenfalls seidige „Flossen“ und an den Seiten seines muskulösen Körpers, waren zwei Flügel ansprechend platziert.

Lutan war kleiner als Mian, aber genauso gut gebaut. Er hatte eine helllila Farbe und grünbraune Augen. Auf seiner Schnauze hatte er ein hellrosa Muster, das von den Nasenlöchern bis zu zwei Hörnern am Scheitel verlief und dabei einen grünen Stein umrandete. Aus den Seiten seines Kopfes ragten lange Ohren heraus. Lutan war ebenso wie sein Bruder Mian mit Schuppen bedeckt, diese erzeugten aber keinen solchen Glanz, sondern gingen von Violett in ein leichtes Rosa über. Seine Flügel waren immer etwas ausgebreitet, als ob er stetig bereit wäre loszufliegen. Die Brust dieses Drachens war heller als sein Rücken und von den Hörner bis zum Schwanz wuchs ihm eine flauschige, rosafarbene Mähne, die mit einer langen Quaste an der Spitze seines Schwanzes endete.

Lutan war ein hoffnungsloser Träumer. Sein Kopf war immer „in den Wolken“, mal betrachtete er eine Blume auf der Wiese, mal beobachtete er wie ein Marienkäfer auf seiner Schnauze herumkrabbelte. Lutan wollte gerne neue, ihm bisher unbekannte Orte besuchen. Er wollte so schnell wie möglich frei werden und sich ohne Aufsicht des Vaters, für weite Strecken vom Schloss und den Wachen entfernen.

Den dritten Bruder – Largo – zeichnete besonders aus, dass er viel nachdachte, manchmal viel zu viel. Ständig dachte er sich etwas aus, überlegte, spielte Dinge durch und plante. Oft waren seine Ideen und Vorschläge eine große Hilfe in den väterlichen Geschäften. Largos Kopf war nicht „in den Wolken" wie der seines Bruders Lutan, er war sehr praktisch veranlagt. Geboren wurde er mit eher hellen Farben, aber mit den Jahren wurden seine Schuppen dunkler und seit seiner Volljährigkeit hatte er die Farbe einer Krähe. Der Körper des dritten Bruders glänzte in der Sonne, als ob seine Schuppen nass wären. Er schillerte blauschwarz und manchmal war es möglich sich in ihm, wie in einem Spiegel zu betrachten. Die Unterseite seines Bauchs bis hin zum Schwanz war hellblau. Im Unterschied zu seinen Brüdern, hatte er einen massiven Nacken und massive Flügel mit Krallen. Seine Ohren liefen in eine Art himbeerfarbene „Flossen“ über, die einen Teil seiner etwas verdrehten Hörner bedeckten. Eine weitere blutrote „Flosse“ wuchs seinen Körper entlang und die dunkle Farbe des Körpers ging, vom Rücken zu den Spitzen der Flügel stufenlos in ein Purpurrot über. Der Stein auf seiner Stirn hatte die gleiche Farbe.

* * *



Am Tag der Volljährigkeit seiner Söhne, veranstaltete König Nait eine fulminante Feier. Alle Vertreter der Drachenwelt kamen auf Schloss Leimader zusammen. Gemessenen Schrittes zog der Drachenadel, in Begleitung seiner Nachkommen und Vasallen, vom Landeplatz vor dem Schloss hin zum Haupttor. Neben dem Tor, wie neben allen Türen standen Wachen. Sie waren ein fester Bestandteil von Leimader und ergänzten durch ihr Auftreten noch mehr die Schönheit des Schlosses.

Alle Wächterdrachen trugen Rüstung. Auf ihren Helmen und ihrer Brust war ein, auf einem Turm sitzender, Drache eingraviert. Jeder Krieger hielt in seiner Hand einen Speer und in der anderen ein fast ovales Schild mit einem Schlitz. Dieses Schild war ein echtes Kunstwerk: mittig war ebenfalls ein Drachen eingeprägt, dieser hielt den heiligen Stein des Lichts.

Das Bild erinnerte an das Wappen, welches auf den Fahnen die

auf den Türmen und am Eingang des Schlosses wehten, zu sehen war. Am Gürtel jedes Kämpfers hing ein Schwert, das aus seltenem Metall von örtlichen Handwerkern geschmiedet worden war. Die Schwerter schimmerten als ob sie magisch wären, ihre geschnitzten Handgriffe trugen eine Beschriftung die Runen ähnelte und ein geordnetes Muster bildete. Und in der Fassung des Handgriffs lag ein Kristall.

Diese Rüstung wurde jeweils von Großvater zu Vater, von Vater zu Sohn vererbt. Gemäß der alten Tradition wurden Wächter aus ein und demselben Klan der Drachen gewählt. Mit Bedacht wurden die stärksten, größten und zähesten ausgesucht. Daher war es immer eine Freude sie anzusehen – sie waren der Stolz von Leimader…

Ebenso wie die Ritter, nahmen auch die Wachen an Turnieren teil und waren fixer Bestandteil der Festzüge, die mehrmals im Jahrhundert zu Ehren der Stadt veranstaltet wurden. Die Wachen gingen immer voran, stolz ihren Schild und Speer präsentierend.


Nico



Nico wurde zwar in eine adlige Familie geboren, aber von Geburt an unterschied er sich völlig von seinen Brüdern und Schwestern. Sie hänselten und beleidigten ihn ständig auf Grund seiner seltsamen Erscheinung. Niemand wusste wieso, aber Nico wuchs einfach nicht weiter (er war in etwa so groß, wie ein mittelgroßer Hund auf dem Planeten Kitur, der sich auf seine


Hinterpfoten stellt). Nicos Hinterpfoten waren sehr groß und stark im Vergleich zu den Vorderpfoten, die sehr klein und kurz waren. Daher waren die Momente wenn sein Rücken juckte, die quälendsten für ihn, denn er musste sich an verschiedene Flächen reiben, um sich kratzen zu können.

Seine lang gedehnte Schnauze mit großen Augen und genauso

großen Vorderzähnen sah lustig aus und ließ ihn wie eine Art Tierchen aussehen, die auf dem Planeten Kitur lebten. Zusammen mit seinen langgezogene Ohren, dem vorgewölbten Bauch, langen Schwanz und seinem Gefieder das nicht ganz ausgebildet war, wurde er zum Gegenstand ständigen Spotts seitens der anderen Kinder. Besonderen Kummer machten ihm seine nicht durchgebrochenen Hörner, denn Hörner sind der größte Stolz eines jeden Drachens. Mann kann nicht sagen, dass Nico wirklich hässlich war, aber seine kreisförmigen, seltsamen Federn machten den kleinen Drachen noch lächerlicher und merkwürdiger. Sogar seine Farbe war nicht so leuchtend wie bei den Anderen – er war braungrau mit einem so undeutlichen Muster, dass es aussah, als ob es Schmutzflecken wären. Nicos schmächtige Flügel hatten die richtige Form und waren so wie bei den anderen Drachen, aber sie waren nicht stark genug, um ihn in die Luft zu heben.

Der kleine Drache litt diesbezüglich sehr und dass seine Schwestern und Brüder ihn auslachten, machte sein Leben noch unerträglicher. Eines Tages, nach einem abermaligen, bösen Streich der Geschwister, riss klein Nico von zu Hause aus.

Er streunte durch die Gärten, ernährte sich von Obst und Beeren, fing Frösche und lernte die Welt um ihn herum kennen. Eines Tages, auf einer Wiese inmitten von dichtem Gras liegend, bemerkte Nico, dass auf den Blüten um ihn Bienen saßen, Nektar sammelten und in ihr Nest brachten. Der Geruch von Honig lockte ihn. Seit seiner Kindheit kannte er diesen berauschenden Duft, denn seine Mutter gab ihm Milch mit Honig. Wie hypnotisiert folgte er dem Geruch, ohne auf den Weg zu achten, denn seine Augen waren auf den grauen „Sack“ gerichtet, der von einem dicken Ast hing. Einzig, er wusste nicht wie man Honig erntet.

Er kletterte auf den Kirschbaum und kroch zum Bienennest. Der Ast unter ihm bog sich tiefer und tiefer und als der glücklose Drache fast sein Wunschziel erreichte und den „Sack“ beinahe in den Pfoten hielt, brach der Ast und Nico fiel zusammen mit seiner Beute zu Boden.



Durch die unsanfte Landung erdrückte Nico das Bienenhaus und eine Unmenge wütender Bewohner stürmte hervor. Es bildete sich eine große, bedrohliche Wolke in der Luft, die sich direkt auf den Drachen stürzte. Erst stach ihn eine Biene, dann eine zweite…

Nico lief stolpernd über die Wiese, warf mit Zapfen nach den Bienen, versteckte sich hinter Bäumen und unter deren Wurzeln, aber die kleinen Bienen fanden ihn überall. Um der schrecklichen Horde zu entkommen, warf Nico einen Zweig nach ihnen. Der Bienenschwarm zerfiel für einen Moment, kam aber schnell wieder zusammen und attackierte den Zerstörer ihres Nestes erneut unter lautem Gedröhne. Jedoch gab, die vorübergehende Verwirrung der Bienen, Nico die Möglichkeit fortzulaufen und in ein kleines Gewässer in der Nähe eines Felsens zu springen.

Der glücklose Langfinger saß nun unter Wasser und seine riesigen Augen blickten, wie zwei starre Bälle, durchs Nass auf die Bienen, die darüber kreisten und ihm nun noch schrecklicher

vorkamen. Sie wollten offensichtlich nicht weg fliegen. Nico saß still, bis er fast keine Luft mehr hatte, dann kroch er auf dem Boden zum nächstgelegenen Ufer, dort wuchs Schilf und hohes Gras. Er machte sich aus Schilf ein Röhrchen, mit dessen Hilfe er atmen konnte und blickte sich um, fieberhaft überlegend, wie er nur aus dieser Situation herauskommen könnte. Plötzlich sah Nico unter Wasser eine ziemlich breite Felsspalte. Mit Hilfe seines neuen „Atemgeräts“ nahm er tief Luft, schob sich durch die Felsspalte und tatsächlich, schon bald erreichte er einen trockenen Platz. Er schaute sich um und begriff, dass er in einer kleinen Höhle gelandet war.

Bald stellte er fest, dass es einen weiteren Ausgang gab. Dieser war mit Gebüsch überwuchert und über ihm hing ein Teil eines Hauses. Aber die Höhle war Dank des Gebüschs so gut versteckt, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, sie hier zu vermuten.

Auf diesem Weg fand Nico ein neues Zuhause. Auf Honigjagd ging er nicht mehr, er hatte genügend Obst und Beeren. Der kleine Drache war nie auf einer der schwebenden Inseln von Atalanta gewesen, denn er konnte nicht fliegen. Genauer gesagt, er konnte, aber nicht höher als einen Meter und auch das nur wenn er hochsprang. Aber der kleine Nico fand auch so genügend Vergnügungen. Tagelang wanderte er über die große Insel, insbesondere aber liebte er es, wenn in der Stadt ein Fest veranstaltet wurde. Dann bemühte sich der kleinen Drache, ein Versteck zu finden, in dem er von keinem gesehen wurde, denn die einheimischen Kinder hätten ihn nur wieder ausgelacht. Aus einem solchen Versteck beobachtete er dann alles was sich in der Stadt abspielte.

In der Zwischenzeit stahl sich Nico immer öfter in das Haus über seiner Höhle. Er stibitzte von den dortigen Tischen alles Mögliche: Löffel, Gabeln, Messer, verschiedenen Knöpfe, Haarklammern. Kurz gesagt alles was in seine, nicht besonders großen Pfoten passte. Eines Tages schlich er sich durch einen Flur ein und sah eine Rüstung durch die geöffnete Tür des Herrenzimmers. Diese war so blank geputzt, dass es möglich war, seine Zahnfüllungen darin zu betrachten, nur falls man welche hatte natürlich.

Nico erlag der Versuchung. Er kroch in das Panzerhemd, setzte die Blechhaube auf seinen Kopf, nahm ganz nebenbei ein Schwert, dessen Handgriff mit funkelnden Edelsteinen verziert war und schleppte sich mit all diesen Gegenständen Richtung Zuhause. Mit unglaublicher Mühe schlich sich der Abenteurer, die ganze Last auf seinen schmächtigen Schultern, zu einer Wendeltreppe. Als er bereits einige Stufen geschafft hatte steckte plötzlich das Schwert fest und Nico, der den Griff festhielt, hing daran. Nico schaute hoch und sah einen riesigen Fuß auf der flachen Klinge des Schwertes stehen, das nun waagerecht festsaß, weshalb Nico über den Stufen hing.

Der Herr des Hauses hatte den Langfinger auf frischer Tat erwischt und sah nun, die Fäuste in die Hüften gestemmt, finster und mürrisch auf den glücklosen Drachen herab. Nico lies vor Angst das Schwert los und rollte Hals über Kopf die Treppe hinunter. Die Unmengen an Metall die Nico umgaben, machten so einen Krach, dass das ganze Haus in Aufruhr geriet. Als er endlich bis zum Boden hinunter gekullert war, wand sich Nico aus der Rüstung heraus, wartete bis er aufhörte Sterne zu sehen und suchte, langsam zur Besinnung kommend, das Weite. Er lief über Flure, stürzte auf eine Terrasse, schlüpfte zwischen den figürlichen Balustern des Geländers hindurch und klammerte sich an die Zweige und Wurzeln der Pflanzen. Lange Zeit wurde im ganzen Haus nach ihm gesucht und von den Balkonen nach ihm Ausschau gehalten, aber es gelang dem Drachen über die Zweige zu seinem Versteck hinunter zu klettern und nach diesem Vorfall ging er nicht mehr ins Haus.

Nico war kein böser oder gieriger Drache, er hatte einfach von klein auf eine Schwäche für alles was glänzt. Er verstand selbst nicht warum, aber der Besitz dieser Dinge machte ihn glücklich. Vielleicht war es das Empfinden etwas Besonderes tun zu können. Wirkte es so auf ihn? Nein, wohl eher gab es ihm ein aufregendes Gefühl der Gefahr, mit dem er versuchte den Mangel an Liebe und Aufmerksamkeit seitens seiner Familie zu ersetzen. Er hatte den Eindruck auf diese Weise allen zeigen zu können, wie tapfer er ist und dass sie ihn nun endlich bemerken würden und dem kleinen unglücklichen Drachen die Aufmerksamkeit schenken würden, die ihm so sehr fehlte. Und so schleppte Nico ständig, alles Glänzende das er finden konnte, in seine klitzekleine Höhle am Rande der größten Stadt der Insel. Die Besitzer des Hauses, hatten nicht den Schimmer einer Ahnung, dass es unten im Felsen eine Höhle gab, in der sich Vorräte aller Art, wie Steine, Metall, Knöpfe, Haarklammern und Besteck türmten.


***


Als der König, anlässlich des Zweihundertsten Geburtstages seiner Söhne einen Ball gab, schaffte es Nico, sich in den Empfang hinein zu schmuggeln. Es kostete ihn unglaubliche Kräfte, aber er wünschte sich so sehr zu sehen was dort stattfand.

Den kleinen Drachen hatte schon immer der Glanz und Glimmer angezogen der ihn umgeben hatte, wenn er mit seiner Familie königliche Feste besucht hatte. Aber jetzt, wo er von zu Hause weg war, hatte er keine Möglichkeit mehr an so einem Fest teilzunehmen.

Er wusste, dass die Teilnehmer des Festes viele glänzende Schmuckstücke tragen würden und das gab Nico keine Ruhe.

Auf Schloss Leimader war der gesamte Hochadel im Anflug und dem kleinen Abenteurer kam die Idee, unter die Kleidung einer eben gelandeten Dame zu kriechen. Die Dame war eine der Ältesten und trug Mode nach der alten Art – einen sehr dichten und langen Überwurf, der sowohl den durch ihr Alter hängenden Bauch, als auch ihren Rücken und Schwanz bedeckte. Nico machte sich diese Möglichkeit zunutze und da er nicht groß war hatte er gerade genug Platz zwischen den riesigen Falten des dichten Überwurfs. Das einzig Störende waren seine Federn, diese kitzelten die alte Dame und sie hüpfte und kicherte die ganze Zeit, aber der Hofzwang erlaubte ihr es nicht, sich zu kratzen. So gelang es Nico, ohne Vorkommnisse in das Schloss vorzudringen.

Die Gäste traten durch das Haupttor ein und vor ihnen öffnete sich eine Phalanx vergoldeter Türen, eine nach der anderen führte tiefer in das Schloss hinein. Die letzte Tür führte in einen riesigen Saal mit Säulen bis zur Decke. Die Decke dieses Saals war durchsichtig und öffnete sich wie in einem Planetarium.

Auf Atalanta gab es immer gutes Wetter. Hier schien immer die Sonne, Winter gab es nicht. An diesem Tag, der Feier zur Volljährigkeit der königlichen Söhne, schien sie besonders hell. Ihre Strahlen, die durch die Glasmalerei der Fenster strömten, verzierten die Räume mit Sonnenflecken in allen Regenbogenfarben.

In dem Saal mit der durchsichtigen Decke hingen filigrane Käfige mit Vögeln, die in präziser Handarbeit von den königlichen Schmieden aus dünnsten Metallplatten gefertigt worden waren. Diese Vögel flatterten, drehten ihre Köpfe, zwitscherten, trillerten und sangen mit den Musikern wie echte Kanarienvögel auf dem Planeten Kitur.

Tatsache war, dass König Nait nie diesen Planeten besucht hatte und er wünschte sich leidenschaftlich Kanarienvögel nach Leimader zu bringen. Aus irgendeinem Grund aber lebten sich diese Vögel auf dem Planeten der segelnden Inseln nicht ein und so erstellten die Meister ihre exakte Kopie.

König Nait und Königin Luna saßen auf majestätischen Thronen in dem riesigen Saal und hießen ihre zahlreichen Gäste willkommen. Die Erben des Königs saßen zu beider Seiten ihrer Eltern: Lutan an der Seite der Mutter, Largo und Mian an der Seite des Vaters.

Die neu Angekommenen erschienen vor der königliche Familie. Der Reihe nach grüßten sie durch Verbeugung und Knicks, gratulierten und brachten teure Geschenke dar, danach vermischten sie sich in der Menge die den Saal füllte.

Als die ältere Dame neben einem großen Polsterhocker stand, schlüpfte Nico aus seinem Versteck und verbarg sich in dessen Unterbau. Bald darauf begann er, mitsamt seines Verstecks, zum Tisch mit den Geschenken vorzurücken. Er bemühte sich es möglichst langsam zu tun, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, doch plötzlich stieß er einer jungen Drachin in die Kniekehlen, diese plumpste auf den Hocker und hatte offensichtlich nicht vor wieder aufzustehen. Da rieß sich Nico eine Feder aus und begann sie in den Kniekehlen zu kitzeln. Überzeugt, dass sich im Hocker Ungeziefer befand, sprang die Drachin quietschend auf ihre Füße. Nico wartete ein wenig ab und kroch weiter zum nächstgelegenen Tisch, dieser war mit einer Tischdecke überzogen und er schlüpfte schnell unter den langen Stoff.

Unter dem Tisch sitzend, betrachtete er mit Interesse die Anwesenden. Der ganze Saal war mit verschiedenartigen Vertretern der Drachenwelt gefüllt und was für Drachen es dort zu sehen gab! Drachen von weiß bis schwarz, von einfarbig bis bunt oder gesprenkelt, von groß bis klein, mit kleinen Flügeln, mit großen, mit langen Schwänzen mit kurzen, mit einem Kopf oder auch mit mehreren. Die Damen trugen verschiedensten Schmuck. In ihre Mähnen hatten sie Perlen, Blumen und Haarklammern mit bunten Steinen eingeflochten und auf den Schwanzspitzen saßen schöne Schleifen.

Immer noch kamen Gäste an. Damen defilierten in Begleitung von Kavalieren. Mütter führten ihre Töchter in die Öffentlichkeit, um einen Bräutigam für sie zu finden. Männer ergriffen die Gelegenheit, um in Männerrunden reichlich zu debattieren. Hier und da standen kleine Gruppen, in denen verschiedene Neuigkeiten heiß diskutiert wurden und in denen es ausschließlich um Männerthemen ging. Ältere Damen saßen auf gepolsterten Sitzbänken und klatschten nicht weniger lebhaft. Jüngere Drachinnen – im Heiratsalter – standen, aufgeregt flüsternd in kleinen Gruppen entlang der Wände und kicherten wenn ein potentieller Bräutigam sie ansah. Sie alle begutachteten heimlich die königlichen Sprosse.

Auf einmal erblickte Nico ein junges Mädchen, das ungefähr in seinem Alter war. Sie war ziemlich attraktiv und zu seiner Überraschung genau so groß wie er selbst. Das Drachenmädchen sah ihn ebenfalls und schaute ihn mit Interesse an. Sie lächelte freundlich und verschwand in der Menge, einem wichtigen Drachen hinterher – offenbar ihrem Vater.

Nico erstarrte vor Überraschung, keiner hatte ihn je so freundlich angelächelt, erst recht kein junges Mädchen. Sein Herz klopfte heftig und er war bereit, die Gefahr vergessend, unter dem Tisch hervor zu springen und ihr hinterher zu rennen. Aber nachdem das letzte Geschenk überreicht worden war, verkündete der König den Beginn des Festes und alle strömten in den Speisesaal.

Nico schlich sich hinter den Gästen in den Saal, in dem sich die Tafeln unter allerlei Speisen bogen. Am Kopfende saß die königliche Familie und von dort aus, an beiden Seiten des Tisches, die Gäste. Im Saal wurden allerlei Getränke verteilt. Die Becher, die vor den Gästen standen schienen unerschöpflich – sie wurden laufend mit Nektar oder berauschenden Getränken gefüllt. Die Trinkgefäße der königlichen Familie unterschieden sich von denen der Gäste, vor jedem von ihnen stand der traditionelle Familienkelch, ein Horn das auf einem Ständer ruhte.



In der Mitte des Saals traten abwechselnd Tänzer, Akrobaten und Sänger auf und Krieger zeigten ihre Geschicklichkeit im Schwertkampf, aber Höhepunkt des Abends war der Auftritt der Meister. Sie brachten alle in eine solche Stimmung, dass den Gästen vor Lachen die Bäuche weh taten. Ein Drache war offensichtlich der Meister und der andere sein Assistent. Dieser besaß einen schlangenähnlichen Körper und konnte sich in solch undenkbare Knoten verbiegen, dass jemand aus dem Saal ihn aufknoten musste. Als der Meister aus seiner Schnauze buntes Feuer spie, da furzte der Assistent im gleichen Takt und dasselbe Feuer kam von der anderen Seite. Dies war keine Absicht, bloß um das Feuer bunt zu machen, mussten sie auf die Hilfe des Alchemisten zurückgreifen und die eingenommene Flüssigkeit zeigte Nebenwirkungen in Form von „zusätzlichem Feuer“.

Obwohl der Ball lustig und reibungslos verlief, kam er natürlich nicht ganz ohne Zwischenfälle aus. Einer der Gäste war ein neunköpfiger Drache und einer seiner Köpfe stach sehr durch freches und schlechtes Benehmen hervor – wie konnte es auch anders sein, wo er doch eine Vorliebe zum Trinken hatte… Dieser Kopf brachte seine Kollegen, durch regelmäßigen Unfug vor feiner Gesellschaft, in peinliche Situationen. Für sein rüpelhaftes Verhalten wurde ihm der Kopf schon öfters abgeschlagen, in der Hoffnung, dass es ihm eine Lehre sei und er mit mehr Vernunft und besserem Verhalten nachwachsen werde. Allerdings es half alles nichts, der neue Kopf verhielt sich genau so wie der alte. Sobald die restlichen acht Köpfe nicht hinsahen, fand der neunte irgendeinen Krug mit Wein und trank ihn, seine Schnauze bis zu den Ohren hineinsteckend, in einem Zug aus.

Erst bemühte sich der Trunkenbold, seinen Rausch nicht zu zeigen, aber bereits kurze Zeit später, wenn ihm das Hochprozentige zu Kopf gestiegen war, fing er an Lieder zu grölen und unanständig zu schimpfen. Hatte dies begonnen, versuchten die anderen Köpfe ihn zum schweigen zu bringen, in dem sie seinen, sich davon windenden Hals schnappten und ihn unter den Flügeln versteckten, aber ausgerechnet wenn alle acht Köpfe eingeschlafen waren, erwachte der neunte Kopf und begann erneut durch die Gegend zu lärmen. Am häufigsten passierte dies an Festtagen die von König Nait veranstaltet wurden.

Gäste die über Nacht im Schloss blieben, wurden manchmal unvermittelt von wilden Schreien, Liedern oder Geschimpfe geweckt, das von diesem volltrunkenen Kopf ausging. Genauso erging es der gesamten Nachbarschaft. Wieder und wieder wurde beim König eine Petition eingereicht, der Unruhestifter solle keinen Einlass zu den Bällen mehr erhalten. Zunächst sah König Nait über die Vorfälle hinweg, schließlich hatte der Drache eine lange Ahnenreihe und stand in Verwandtschaft zur königlichen Familie, außerdem man musste gerecht sein: die anderen acht Köpfe verhielten sich anständig. Als aber die Beschwerden mehr und mehr wurden, befahl Nait dem Hooligan und Trinker eine spezielle Vorrichtung auf die Schnauze zu setzen, sodass er nicht mehr trinken könne, doch der Drache schaffte es, den Knebel bei passender Gelegenheit erfolgreich auszuziehen.

Inzwischen, während die Gäste feierten und jubelten, zog Nico hier und dort Besteck unter den Tisch. Aus einem Stück Stoff, das er von jemandes Rock abgerissen hatte, bastelte Nico ein kleines Bündel indem er sein Gut ablud. Als er gerade unter dem Tisch hervor kommen wollte, um das Schloss zu verlassen, trat einer der Gäste versehentlich auf seinen Schwanz. Nico schrie wie am Spieß, er riss seinen Schwanz fort, warf seine Beute von sich und rannte los. Einige Gäste sahen wie aus dem Bündel die gestohlenen Sachen herausfielen und jemand schrie: „Haltet den Dieb!“.

Sofort setzten dem glücklosen Langfinger mehrere Wachen nach. Nico lief über Tische, unter Tische und zwischen den Gästen hindurch… Riesige Wachen stürmten den Saal und versuchten ihn zu fangen, aber durch ihre Größe waren sie nicht so behände wie der kleine und flinke Nico. Sie stolperten ständig über die Schwänze und Röcke der Gäste und einige der Geladenen fielen zu Boden. Kurz sah es so aus, als würde Nico verhaftet, aber das junge Mädchen, das ihn angelächelt hatte, streckte im richtigen Zeitpunkt, wie durch Zufall ihren Fuß nach vorne und der erste hinter Nico laufende Wächter stürzte und damit alle hinter ihm, einer auf den anderen zu einem großen Haufen. Das gab dem unglücklichen Kerl die Möglichkeit, der Jagd zu entkommen. Nico sprang aus dem Saal direkt unter die Füße eines Kellners, der das Gleichgewicht verlor und mitsamt seines Tabletts zu Boden plumpste. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern lief der Arme durch das gesamte Schloss: er versteckte sich, wurde gefunden, lief weiter, bis er sich plötzlich in der Küche befand. Dort machte er alles dem Erdboden gleich. Es flogen verschiedenste Dinge durch die Luft, die die Wachen nach Nico warfen. Der Koch beteiligte sich am Wettrennen mit einer Pfanne in der Hand, denn der Langfinger hatte das Allerheiligste angegriffen – die Küche. Nico lief im Kreis über den Boden, die Tische, hing vom Kronleuchter und Fensterrahmen. Infolgedessen flog eine Schüssel mit Mehl durch die Luft und färbte ihn und die ganze Küche weiß. Der Pechvogel tat so, als ob er ein Sack in einer Ecke wäre, aber seine großen Augen verrieten ihn. Letzten Endes wurde über Nico ein Netz geworfen und der Langfinger war gefangen. Der kleine Drache wurde vor König Nait geführt, der befahl Nico bis zum Ende der Feier in Haft zu nehmen.


Das Urteil


Nico verbrachte die ganze Nacht eingesperrt und malte sich mit großer Angst aus, welche Bestrafung König Nait wohl erlassen werde. Nur das Bild des jungen Mädchens machte seine düsteren Gedanken erträglicher. Schade, dass er gefangen wurde, dachte der kleine Drache, vielleicht hätten sie Freundschaft schließen können. Er lächelte, es war wirklich eine sehr mutige Tat gewesen, der königlichen Wache so das Bein zu stellen!

Am nächsten Tag erschien Nico vor dem König. Alle Gäste hatten bereits das Schloss verlassen. Der unglücklich in alles glänzende Verliebte, stand mit hängendem Kopf vor dem Thron des Königs und riesige Tränen liefen über seine Wangen.



„Wie heißt du?“, fragte König Nait streng.

„Nico“, sagte der Arme schluchzend.

„Wie kamst du ins Schloss?“

„Ich… ich … unter dem Rock einer Dame…“, antwortete der kleine Drache fast flüsternd, denn er zeichnete sich immer durch Ehrlichkeit aus.

„Unter dem Rock?!“, schmunzelte König Nait.

„Ja, Eure Majestät.“

„Und warum hast du von den Tischen gestohlen?“

„Ich… ich… weiß es nicht.“, antwortete ein unglücklicher Nico.

Er wusste tatsächlich nicht, wie er diese Frage beantworten soll.

„Wie, du weißt es nicht?“, der König runzelte die Stirn „Und wie lange klaust du schon?“

„Mein ganzes Leben.“, antwortete der kleine Drache kaum hörbar.

„Verkaufst du die Sachen an jemanden?“, Nait lehnte sich nach vorne und schaute den Langfinger scharf an.

„Nein, Eure Majestät, ich sammle sie an.“

„Wofür?“, staunte der König.

„Ich weiß es nicht…“

Die Worte waren kaum hörbar.

„Es scheint mir, dass du ein Kleptomane bist.“, schloß König Nait.

„Klepto… was?!“

Der Arme hörte auf zu weinen und schaute den König mit seinen großen Augen an.

„Kleptomane. Jemand der alles klaut was ihm in die Hände kommt, ohne bestimmtes Ziel. In deinem Fall ist es alles was glänzt, wie ich verstanden habe.“

„Bin ich krank?!“, schrie Nico verzweifelt auf.

Es schien, als würde er gleich ohnmächtig zu Boden fallen.

„In gewisser Weise ja… und ich denke, die einzige Heilung in Deinem Fall wird sein – dich auf den Planeten Kitur zu schicken.“

„Ich werde nie mehr!“, schrie der kleine Drache auf.

„Was wirst du nie mehr? … Du weißt, dass laut unseren Gesetzen, Diebstahl eine schwere Straftat ist…“

Nico erstarrte, ohne zu wissen was er antworten solle.

„Nun, so ist es!“, antwortete der König, „Du bleibst dort, auf diesem blauen Planeten – dann wirst Du merken wieviel besser es auf Atalanta ist“.

Obwohl der blaue Planet für Drachen sehr attraktiv war, hatte keiner von Ihnen den Wunsch dort zu leben. Das Leben auf der Erde war auf jeden Fall härter, als auf Atalanta.

Nico sah den König an und aus seinen Augen rollten Tränen.

„Kann ich irgendwann zurückkehren… ?“, fragte er stotternd und sich an seinen Tränen verschluckend.

Wäre dies vor der Feier im Schloss des Königs passiert, wäre die Tatsache, dass er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren konnte, vielleicht nicht so bitter gewesen, denn ihn hatte nichts auf Atalanta gehalten. Jetzt jedoch fühlte der kleine Drache zum ersten Mal, dass es jemanden gab, für den es sich lohnte sich zu verbessern. Zum ersten Mal im Leben gab es jemanden, der über sein Aussehen nicht lachte, zum ersten Mal schaute ein Mädchen auf ihn ohne ihn zu verhöhnen und half ihm sogar in einer Notsituation.

„Vielleicht…“. König Nait schüttelte den Kopf und sprach dann mit lauter und fester Stimme aus: „Ich befehle dem Drachen Nico den Stein abzunehmen und den Schuldigen unverzüglich auf den Planeten Kitur zu schicken.“

Die Worte klangen für Nico wie einen Todesurteil – er senkte seinen Kopf.

Zwei Wachen, die hinter dem kleinen Drache standen, machten einen Schritt nach vorne und stellten sich auf eine Linie mit Nico. Sie nahmen Nico seinen Partikel des Steins des Lichts von der Stirn und führten ihn in das Gebäude, in dem sich das Portal zur Versetzung auf den Planeten Kitur befand.

Dieses Gebäude ähnelte einem Tempel, mit Kuppel und Säulen. Es erstreckte sich ein, mit weißen Steinen belegter Weg dorthin und zum Eingang führten mehrere Stufen. Auf steinernen Böschungen befanden sich Säulen, auf denen eigenartige Muster – Schriftzeichen – angebracht waren. Die Kuppel, die mit gemustertem Mauerwerk und Kunststuck dekoriert war, wurde von weißen Säulen gehalten. Unterhalb des Gewölbes schwebte ein riesiger Kristall von unglaublicher Schönheit. Dies war der Stein des Lichts. Strahlend schimmerte er in allen Farben des Regenbogens.

Nico konnte die Schönheit dieses Schatzes nicht lange bewundern – ihm wurde schnell eine Augenbinde aufgesetzt, die ihn vor den hellen Lichtblitzen schützte.

Auf dem Boden des Tempels, in der Mitte eines Kreises der den Himmel darstellte, befand sich ein Quadrat das Kitur abbildete. Dies sah wie ein auf dem Boden liegender Spiegel aus. Wenn sich jemand über das Portal nach Kitur versetzte, blinkte und funkelte das Quadrat.

Im ganzen Gebäude gab es noch mehrere solcher „Spiegel“ aber sie waren kleiner und in filigranen Rahmen. Mit ihrer Hilfe war es möglich, andere Planeten im Universum zu sehen.

Der irdische Ausgang des Portals, das Atalanta und den blauen Planeten verband, stand seit alten Zeiten im Schloss des Ordens der Drachen, das sich in den öden Bergen im Norden des Königreichs Skeldarck befand, welches in Skandinavien lag.

…Nico wurde unter die Kuppel gestellt und nach ein paar Sekunden spürte er wie sein Körper schwerelos wurde. So blieb es eine Weile, bis er wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Der kleine Drache schob seine Pfoten nach vorne und versuchte etwas zu ertasten. In diesem Moment wurde die Binde von seinen Augen genommen. Nico blinzelte, schaute sich um und erkannte, dass er nicht mehr in Laimader war. Um ihn herum standen Wächterdrachen, deren Rüstungen mit anderen Abzeichnen versehen waren, als die der Wache König Naits. Auch der Saal, in dem sich das Portal zur Versetzung befand, war ihm völlig unbekannt.

So kam Nico auf die Erde…


Erster Freund



Als der unglücklich Verbannte zur Besinnung kam, wurde er als Verbrecher aus dem Schloss vertrieben. Ihm wurde nur die Richtung gezeigt in die er gehen sollte.

Lange ging der kleine Nico, über sein unseliges Schicksal nachdenkend, ziellos vor sich hin. Sicher, was hätte er auch anderes erwarten sollen? Er hatte doch immer Pech. Wieso sollte er jetzt Glück haben, wo er das einzige Wesen der Welt getroffen hatte, das zu ihm freundlich war?

Vor den Augen des Drachens erschien wieder das Bild des kleinen Drachenmädchens, aber Nico wusste, dass er sie wohl nie wieder sehen würde, genauso wie seine Eltern… Seine Gedanken wanderten zum Elternhaus: ob seine Verwandten Bescheid wussten was mit ihm geschehen war, ob sie sich um ihn Sorgen machten oder wäre ihnen sein Schicksal vollkommen egal? Wussten sie, dass ihr Sohn nach Kitur verbannt wurde?

Der kleine Verstoßene kehrte in die Wirklichkeit zurück – was erwartete ihn hier, auf diesem fremden Planeten? Unwillkürlich schluchzte er… danach seufzte er tief, schaute sich um und schleppte sich weiter.


* * *


…Tag und Nacht stapfte Nico erst durch schneebedeckte Gipfel, dann erreichte er Hügel und endlich befand er sich in einem Wald. Als er einen Fluß erreichte war er so erschöpft, dass er nicht mehr in der Lage war seine Pfoten fortzubewegen. Nico hatte so einen riesigen Hunger, dass er bereit war Moos von der Erde zu essen, um nur bloß kein Knurren mehr im Bauch zu haben. Da bemerkte er Frösche, versteckte sich in einem Busch, sprang nach ihnen und… fiel bewusstlos zu Boden. Offenbar eine Auswirkung des Hungers.

Die Frösche sprangen ins Wasser und Nico lag bewusstlos am Ufer des Flusses mit seiner Schnauze im Wasser. Zum Glück war zumindestens seine Nase über der Oberfläche, sonst hätte er sein abenteuerliches Leben am Ufer dieses kleinen Flusses beendete. Durch die Nase sog er Luft ein, aber er atmete sie ins Wasser aus, deswegen sprudelte alles um seine Schnauze herum.

So lag der Arme, bis zu dem Fluss ein prächtiger Planwagen kam in dem sich eine adelige Familie befand. Sie machten Halt, um Mittag zu essen. Während die Erwachsenen sich auf einer Wiese aufstellten, lief ein kleines Mädchen, etwa sieben Jahre alt, am Flussufer herum um Blumen zu pflücken. Plötzlich sah sie ein Wesen, das am ehesten wie ein Hund oder eine riesige Katze aussah. Das Mädchen hatte keine Angst und zog dieses Wesen, den Schwanz greifend, vom Wasser weg. Daraufhin lief sie zum Planwagen, nahm sich ein Stück getrocknetes Fleisch und kam zurück. Das Mädchen schwenkte das Fleisch vor Nicos Nase und der Drache begann zur Besinnung zu kommen. Erst dachte der Arme, dass es bloß ein Traum war in dem er, in einer Art Nebel versuchte fliegende Fleischstücke zu fangen. Aber dann, als er ein Stück erhaschte und zwischen den Zähnen hielt, spürte der kleine Drache den echten Geschmack des Fleisches und kam wieder zu Bewusstsein.

„Wer bist du?“, fragte ihn das kleine Mädchen.

Das Fleisch fest in den Pfoten haltend, starrte Nico ohne zu blinzeln auf das Kind. Er hatte nicht erwartet, die Menschen verstehen zu können.

„Nico“, sagte der kleine Drache endlich und betrachtete mit Neugier das Menschenkind.

Zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen echten Bewohner des Planeten Kitur und ihre blonden Locken, die mit Schleifen geschmückt waren, ließen sie einer Puppe ähneln mit der Nicos Schwestern gespielt hatten.

„Du bist ein Drache, oder?“, fragte die Retterin, das seltsame Wesen beäugend.

„Ja“, sagte Nico, dabei aß er schnell mehr Fleisch und leckte sich die Finger ab.

„Und wieso hast du im Wasser geschlafen?“

„Ich habe nicht geschlafen, ich lag auf der Lauer“, log der kleine Drache verlegen.

Das Mädchen schnaubte. Sie wusste, dass der Drache niemandem aufgelauert hatte.

„Schon gut.“, sagte sie. „Wo wohnst du?“

„Ich… ich…“

„Du hast kein Zuhause?“, fragte sogleich das Mädchen.

Nico senkte die Augen.

„Nein.“

„Wenn Du willst nehme ich dich mit! Ich habe ein großes Zimmer.“

Der Arme schaute das Mädchen mit solcher Hoffnung an, dass darin alles gesagt war.

„Gut, aber so, dass meine Eltern dich nicht bemerken. Wir werden bald weiterziehen. Du bleibst in den Büschen und wenn wir losfahren springst Du hinten auf die Sitzbank.“

Nico nickte. Das Mädchen ging durch hohes Gras zu den Erwachsenen zurück, wendete sich noch einmal um und sagte:

„Ich heiße Arlen…“

Einige Zeit lang saß Nico, ohne die Augen von den Menschen abzuwenden zwischen den Büschen. Als sie fertig waren und sich der Planwagen in Bewegung setzte, sah er wie Arlen aus dem Fenster sah, den Kopf nach allen Seiten drehte und ihn suchte. Nico lief hinterher und schaffte es gerade noch rechtzeitig auf einen Sitz zu klettern, der an der hinteren Wand des Planwagens angebracht war und auf dem eine Kiste mit Vorräten stand…


* * *


Der Planwagen fuhr zu einem riesigen Schloss und blieb davor stehen. Der kleine Drache sprang vom Sitz und versteckte sich hinter einem Wagenrad. Während die Erwachsenen Sachen ausluden, schaute das Mädchen unter den Boden des Wagens und sagte, als sie den Drachen sah schnell:

„Warte auf mich auf der anderen Seite des Hauses…“

Als alle weg waren, fuhr der Kutscher den Wagen fort und Nico, der an einer Halterung an der Unterseite hing, erreichte so eine Wiese mit hohem Gras und von dort aus einige Johannisbeerbüsche. Durch die Grünanlage ging es weiter in den Gemüsegarten, wo er zwischen den Beeten entlang kroch, wie ein Kater auf der Lauer. Nur hatte er vergessen, auch seinen Schwanz zu verstecken.



In diesem Moment atmete eines der Dienstmädchen, das für den herrschaftlichen Tisch Gemüse sammelte kurz durch und streckte ihren Rücken. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich etwas zwischen den Salatbeeten bewegte und knisterte. Bei genauer Betrachtung erkannte sie irgendein seltsames Tier. Die ganze Nachbarschaft zusammenschreiend, ließ das Dienstmädchen ihr Gemüse fallen, raffte ihre Röcke und rannte im Galopp aus dem Gemüsegarten.

Vor Schreck sprang auch Nico auf und lief schreiend in Richtung Schloss. Zu seinem Glück, schaffte Arlen es rechtzeitig eine Tür zu öffnen und Nico schlüpfte im Nu ins rückseitige Haus. Die Bewohner des Hauses liefen auf den Schrei hin zusammen. Die Frauen standen abseits, während bewaffnete Männer, auf der Suche nach der Bestie die Beete durchwanderten. Als niemand gefunden wurde, gingen alle wieder ihren normalen Angelegenheiten nach. Währenddessen war Nico in Arlens Zimmer. Mit Interesse ging er die Regale entlang und betrachtete die verschiedenen Gegenstände. Puppen, Teddybären mit Knöpfen als Augen, Haarklammern und vieles mehr. Arlen saß auf einem Sofa und beobachtete den Drachen.

Nachdem er das ganze Zimmer des Kindes durchwandert und in alle Schubladen und Schränke gesehen hatte, fand Nico endlich einen Platz an dem er schlafen würde – unter Arlens riesigem Bett. Von dort bis zum Boden hing eine Decke und dem kleinen Drachen schien es für einen Moment, als ob er sich wieder in seiner Höhle befände. Dunkel und bequem, als würde es ihn beschützen. Er brachte unter das Bett einige Lammfelle und mehrere Kopfkissen aus dem Bett des Mädchens und richtete sich mit allem Komfort ein. Von diesem Tag an hatte Nico endlich einen kleinen Freund und das Mädchen einen ungewöhnlichen Kameraden und noch dazu ein Geheimnis.

Arlen belästigte die Hausangehörigen nicht mehr mit der Bitte, mit ihr zu spielen und verbrachte stattdessen die meiste Zeit mit dem Drachen in ihrem Zimmer. Während des Mittagessens und Abendbrotes schlich sich Nico in den Speisesaal, kroch unter den Tisch und erhielt von Arlen Stückchen der verschiedenen Speisen. Am liebsten mochte Nico gefüllte Teigtaschen, welche eine rundliche Köchin extra für ihren Liebling Arlen buk – mit Kirschen, Erdbeeren oder Rhabarber, je nach Saison. Das Mädchen brachte ihren neuen Freund heimlich, durch einen geheimen Ausgang aus dem Haus und sie gingen entlang eines Flusses spazieren. Nico liebte diese Spaziergänge. Mit jedem Tag wurde die Freundschaft zwischen ihm und Arlen enger und enger. Die Kleine schenkte ihm sogar ihre Mütze und den Schal mit Handschuhen, den ihr die Köchin zum fünften Geburtstag gestrickt hatte und der ihr zu klein geworden war. Nico erzählte Arlen vom Land der Drachen und sie ihm über das Leben auf der Erde. Natürlich nur über die Dinge, die sie selbst wusste.

Aber eines Tages passierte ein Unglück, das die kleinen Freunde trennte. Zu Winteranfang ging Arlen, wie immer mit dem Drachen am Fluss spazieren. Sie gingen entlang des, mit Schnee bedeckten Flussufers. In der Nacht war der Fluss zugefroren. Arlen wusste, dass sie sich vom Wasser fernhalten soll, wenn kein Erwachsener in der Nähe war. In der Regel machte sie das auch, aber diesmal stolperte Arlen und fing an bergab zu rutschen. Nico lief am Ufer entlang und überlegte panisch was er machen soll. Er rief um Hilfe, aber offensichtlich hörte ihn keiner. Arlen rutschte immer weiter und weiter auf das Eis. Und als sie versuchte herauszukommen und ans Ufer zu klettern, knackte das Eis. Nico hatte die Idee seinen Schal auszuziehen und warf ihn dem Mädchen zu. Sie griff das eine Ende des Schals und Nico zog mit ganzer Kraft am anderen. Aber Arlen war schwerer als er, ein Teil ihrer Kleider war nass geworden und damit war es noch schwieriger das Mädchen herauszuziehen. Nico flehte sie an den Schal nicht loszulassen und sich weiterhin daran festzuhalten und schrie so laut er konnte um Hilfe. Endlich hörte ihn jemand. Er konnte die Ausrufe von Menschen hören, die zur Hilfe herbei eilten. Als der Erste, ein Gärtner, kam, hatte Nico das Mädchen fast heraus gezogen und hielt sie bereits an der Hand. Der Gärtner bewertete die Situation falsch und stürzte sich auf den Drachen. Nico lies vor Schreck den Schal los und sprang beiseite, er wollte der Hand des Gärtners ausweichen, dem bereits mehrere Menschen zu Hilfe kamen. Im letzten Moment hielt der Gärtner gerade noch das Ende des Schals, an dem Arlen hing fest und zog sie ans Ufer. Mehrere Menschen umgaben das Kind, die anderen liefen dem Drachen hinterher. Sie hatten entschieden, dass er an diesem Vorfall schuld war. Auf die Einsprüche des Mädchens achtete keiner. Arlen wurde schnell in das Haus gebracht und Nico wurde so lange gejagt, bis die Menschen erschöpft waren. Der kleine Drache erkannte, dass es für ihn keinen Weg zurück gab. Er hoffte nur, dass mit seiner so plötzlich gewonnenen und so schnell verlorenen Freundin alles gut ging, aber sie war ja in sicheren Händen…


Wieder alleine


Nico schlurfte durch den Wald, ohne Büsche, Schluchten oder den Weg wahrzunehmen…

Es war ihm egal wohin er ging. Er ernährte sich von ihm unbekannten Beeren und Früchten, denn der Hunger war stärker, als die Angst an einer giftigen Pflanze zu sterben. Einmal stieß er, in einem umgefallenen Baum auf ein Nest indem, wie durch ein Wunder die Eier ganz geblieben waren. An diesem Abend schlief er, zum ersten Mal seit vielen Tagen, satt ein…

Es vergingen Tage, Wochen, Monate bis er sich endlich in der Nähe eines kleinen Dorfs befand.

Aus einem Versteck beobachtete der kleine Drache lange was in der Siedlung stattfand, bis er sich entschloss, zu einem Bauernhof am Rande der Siedlung zu kriechen. Nico beobachtete aus einem Versteck zwischen Büschen, Menschen, Hunde und Hühner, die mal hier mal da, auf der Suche nach Würmern am Boden pickten. Der hungrige Glücklose bemerkte, dass eine Frau mehrmals, nach einem bestimmten Geräusch aus einem der Gebäude kam, ein anderes betrat und mit Eiern wieder herauskam. Nico schien, dass dies ein Lager für solche Eier war. Und diese waren viel größer als jene, die er im Wald gefunden hatte.

An die Wände des Schuppens gedrückt, schlich Nico zum Hühnerstall. Er kletterte ins Innere des kleinen Gebäudes und naschte, indem er in die Regale kroch Hühnereier – er stach eines mit seiner Kralle auf, trank es aus, danach das zweite und so alle der Reihe nach. Die Hühner, durch den Einbruch des Drachens aufgeregt, echauffierten sich und erhoben ein großes Geschrei. Aber Nico war so begeistert, dass er nicht merkte wie die Frau des Bauern in den Hühnerstall kam, sie war auf das Äußerste erschrocken und zeterte, dass irgendein Monster, schmutzig, dürr, mit Kletten und allerlei Müll am Körper auf die Hühnerstangen kletterte und Eier naschte.



Tatsächlich konnte Nicos Aussehen jede, sogar die mutigste Frau erschrecken. In den vergangenen Monaten seines Irrwegs durch Wälder und Berge mergelte er so sehr ab, dass seine ohnehin großen Augen einfach riesig geworden waren und mit hungrigem Glanz leuchteten. Sein Körper war mit einer Kruste von Schmutz und Schürfwunden bedeckt und anstelle von Gefieder ragten Kletten heraus…

…Natürlich wussten die Menschen von den Drachen, obwohl es diese nicht häufig zu sehen gab. Denn trotz der gegenseitigen, vorteilhaften Zusammenarbeit versuchten die Drachen, die Menschen durch ihre Anwesenheit auf der Erde nicht zu stark zu belasten. Aber die Menschen, die Drachen begegnet waren, hinterließen Zeichnungen die Drachen darstellten und verfassten Märchen und Legenden über sie.

Nun war es aber so, dass der arme Nico nicht wie ein echter Drache aussah und durch sein Äußeres, bei Frauen Angst und bei Männern Lachen verursachte…

Jetzt ähnelte er einer Vogelscheuche. Schade, dass die Menschen nicht wussten wie nett und harmlos dieser kleine, glücklose Drache war.

…Nico suchte in Panik nach dem Ausgang, aber die Frau, die weiterhin schrie, versperrte mit ihrem Körper den Weg. Er holte tief Luft, kniff die Augen fest zusammen und lief, in vollster Verzweiflung der Frau unter den Rock. Sie sprang auf und es gelang ihm aus dem Hühnerstall zu entfliehen, jedoch draußen warteten auf ihn Männer mit Rechen und Frauen mit Besen.

Nico lief über die Höfe zwischen den Häusern. In regelmäßigen Abständen erwischte ihn ein Besen am Schwanz, aber er bemühte sich den Rechen auszuweichen. Im letzten Moment einen Haken schlagend, schaffte es der armer Kerl in einen Haufen zu springen.

Dieser erwies sich als Misthaufen… Lange suchten ihn die Bauern, dann gingen sie zurück auf ihre Höfe. Nico saß im Inneren des Haufens so lange, bis alles still wurde. Sorglose Hühner hatten begonnen, um ihn herum zu spazieren. Eines von ihnen bemerkte ein Wackeln und pickte, überzeugt es handle sich um einen Wurm, dem Drachen direkt in den Schwanz. Nicos Nerven gingen mit ihm durch und er flitzte, aus dem Haufen springend, in den Wald davon.

Er war zwar satt wie noch nie, aber er stank und ihn begleitete andauernd ein Schwarm Fliegen. Nico lief so lange er nur konnte, bis er wie tot unter einem gekrümmten Baum niederfiel.

Als Nico am Morgen erwachte, suchte er einen Platz, um sich zu waschen. Er marschierte lange und zwängte sich durch dichtes Gehölz bis er endlich zu einem See kam. Später erfuhr er, dass die Menschen diesen See Bell-Dragon nannten, da hier oft Drachen gesehen wurden. Am Ufer fielen Nico Wurzelstöcke auf, unter denen er sich einen bequemen Unterschlupf einrichtete. Von diesem Moment an verließ er den See nicht mehr und rettete von Zeit zu Zeit Ertrinkende.


Nicos Heldentat


Für einige Zeit in ihrer langen Geschichte, verweilten auf der Erde eine große Anzahl unterschiedlicher Vertreter anderer Planeten des unermesslichen Universums, diese besaßen vielfältiges Wissen und Fähigkeiten. Jetzt aber wurde die Erde von den Menschen bewohnt und nur wenige von Ihnen bewahrten und überlieferten die alten Legenden über die Zuwanderer in Form von mündlichen Erzählungen.

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